Deutschland staunt über #varufake, den von den Medien selbst inszenierten “Stinkefinger-Skandal”. Die einen staunen über die Unverfrorenheit der Sendung “Günther Jauch” und die anderen über den Fernseh-Witzbold Jan Böhmermann, der in einem satirischen Beitrag vorgab, ein Video mit dem Stinkefinger des griechischen Finanzministers manipuliert zu haben. Mit besagtem Video hatte Günther Jauch zuvor den griechischen Finanzminister Giannis Varoufakis konfrontiert und sich damit der aktuellen Hetzkampagne der Bild-Zeitung angeschlossen, die seit Jahren gegen Griechenland zu Felde zieht.
Jan Böhmermann hat die Sendung von Günther Jauch nun ordentlich vorgeführt und ihre bräsige Hohlbirnigkeit der Lächerlichkeit preisgegeben. Damit hat er die gesamte Medienlandschaft in Deutschland nochmal zusätzlich gegen die Wand rennen lassen, denn die war sich natürlich nicht zu blöd, auf allen Kanälen zu rätseln, ob Böhmermann das Video wirklich gefälscht hat und vergaß dabei leider, sich einfach mal das Original anzusehen oder kurz zu googlen.
Böhmermann konnte sich über die Publicity freuen und legte den Finger dabei direkt in die Wunde des öffentlich-rechtlichen Fernsehens. Nicht der Stinkefinger ist der Skandal, sondern erstmal der Mangel an Recherche und die Tatsache, dass die Redaktion von “Günther Jauch” und ihr Moderator dieses Video aus dem Zusammenhang gerissen haben und in keinster Weise auf den tatsächlichen Hintergrund eingingen. Man glaubte, ein “Stinkefinger” wäre plakativ genug um eine Sendung zu füllen, die durchaus einen ernsten Hintergrund hatte. Aber schon der Titel der Sendung, “Der Euro-Schreck stellt sich”, ließ vermuten, dass man es nicht auf eine seriöse Diskussion über Griechenland oder den Euro abgesehen hatte. Dafür sprach schon die Gästeliste, auf der u.a. der CSU-Hallodri Markus Söder und Ernst Elitz von der “Bild” standen, zwei Männer, die mit abgedroschenen Floskeln wie “Griechenland muss seine Hausaufgaben machen” kaum zum Thema beitragen können.
Aber die Lage Griechenlands und die Auswirkungen für Europa waren gar nicht Thema dieser Sendung. Stattdessen ging es tatsächlich nur um den gestreckten Finger von Finanzminister Varoufakis, an dem sich die “Bild” bereits seit Tagen abgearbeitet hatte. Das Video war zu einer Art Trophäe geworden und für Jauch ideal um über die wichtigen Fragen eben nicht zu reden. Varoufakis, der per Videoübertragung zugeschaltet war, wurde hierfür von Moderator Jauch in der Anmoderation als “italienischer Bruce Willis” begrüßt und später mit den Worten “Sie haben sich tapfer geschlagen” verabschiedet.
Soviel Ignoranz und Unverschämtheit ist selbst im öffentlich-rechtlichen Fernsehen selten. Günther Jauch und seine Redaktion können also Griechenland nicht von Italien unterscheiden, reduzieren Griechenlands Finanzminister weiterhin auf sein Aussehen und sehen Varoufakis scheinbar als jemanden, der sich gefälligst bei den Deutschen für eine Rede zu entschuldigen hat, die man selbst nicht verstanden und vermutlich auch nicht in ganzer Länge gesehen hat. Und zum Abschluss entlässt man den Mann selbstgefällig wie einen Schuljungen, bei dem der strenge Herr Direktor nochmals ein Auge zudrückt.
Man wird das Gefühl nicht los, dass Günther Jauch, der vor allem mit dem Vorlesen von Quizfragen bekannt wurde, der journalistischen Aufgabe einer solchen Sendung nicht gewachsen ist. Vergleicht man die Sendung mit ähnlichen Talkshows aus anderen Ländern wird erst richtig deutlich, wie einfach “Günther Jauch” gestrickt ist. Deutschland scheint die Debattenkultur zu fehlen, die eine politische Talkshow ausmacht. Statt Streitgespräche von Experten serviert Jauch heiteres Gequatsche mit “interessanten Gästen” wie Markus Söder, Claudia Roth oder Wolfgang Niedeken und Oliver Pocher. So bleibt alles schön einfach.
Schöne, heile Welt und gute, alte Zeiten
Die internationale Welt von Wirtschaft und Politik hat sich jener Vorstellung einer schönen, heilen Welt unterzuordnen, die Deutschland als identitätsstiftende Zuflucht dient. Man orientiert sich an einer imaginären Vergangenheit und was nicht passt, wird eben passend gemacht. Im Zweifelsfalle wird auch so ein Stinkefinger so lange umgedeutet bis er ins Konzept passt. Statt die ernsthafte Kritik des griechischen Finanzministers und dessen Rede über die Situation 2010 zu analysieren wird Varoufakis zum ungezogenen Jüngchen, dem man seinen Lausbubenstreich nochmal durchgehen lässt und Sprüche wie “der soll sich mal das Hemd in die Hose stecken” auf den Weg gibt. Ausländische Gäste oder Experten vom Fach haben in dieser extremen Form von kollektiver Realitätsflucht nichts zu suchen und stören so eine Sendung in der Regel sowieso nur mit Zahlen und Fakten. Lieber möchte man Claudia Roth und Markus Söder zu irgendeinem Thema sagen hören, “dass das auch Deutschland angeht” und “man auch mal an die Menschen denken muss.” Eine wirkliche Debatte ist mit solchem Personal nicht zu erwarten.
An sich hätte der Sendeplatz von Jauch sowieso Sandra Maischberger gebührt, die bei ntv lange Zeit einen hervorragenden täglichen Polit-Talk moderiert hat und nach ihrem Wechsel zur ARD nur noch für Wohlfühlthemen zur Geisterstunde zuständig ist. Man wollte für die Prime Time-Talkshow nach dem “Tatort” keine Journalistin, man wollte einen Mann, der bei den Deutschen beliebt ist weil er “den kleinen Mann” repräsentiert, als der sich “die kleinen Leute” so gerne sehen.
Das bestenfalls oberflächlich informierte Deutschland möchte immer wieder in einer Endlosschleife gesagt bekommen, dass die Welt da draußen zwar furchtbar böse und kompliziert ist, es Deutschland aber gut geht und das auch in Zukunft so sein wird, wenn man eben nicht so viele Ausländer reinlässt, und der Rest der Welt soll sich daran gefälligst ein Beispiel nehmen und das wird man jawohl nochmal sagen dürfen.
Jauch & Co haben bereits in der Debatte um das Buch “Deutschland schafft sich ab” von Volkswirt Thilo Sarrazin vorgeführt, wie einfach sich die Fakten für ein Weltbild biegen lassen, das sich über die fiktive Vergangenheit einer “guten, alten Zeit” definiert. Niemand warf in den diversen Talkshows die Frage auf, ob man es bei Sarrazin nicht einfach nur mit einem verbohrten Rassisten zu tun hatte weil man oftmals schon allein mit dem Begriff Rassismus nichts anfangen konnte. Stattdessen verteidigte u.a. der ehemalige Popbeauftragte der SPD Sigmar Gabriel seinen Parteifreund gegen eben diesen Vorwurf oder es wurde “das jüdische Gen” diskutiert, von dem Sarrazin im “Tagesspiegel” gelesen hatte, wie er oft betonte. Der offensichtliche Unfug fiel niemand auf und die Anleihe bei den Rassentheorien der Nazis schien in Deutschland niemanden groß zu stören. In jeder ausländischen Talkshow wäre Sarrazin dafür allerdings nach 5 Minuten von der Moderation an die Wand genagelt zu werden.
Viele Deutsche sind scheinbar immer noch der Meinung, dass ihr Wesen nur einer Genesung der Welt dient und so hat man natürlich auch kein Problem damit, den Rest von Europa weiterhin zu schulmeistern. Dazu passt auch die Mär vom Stinkefinger, den der böse Grieche dem kleinen Mann zu zeigen schien. Darüber war mit dem Burschen aus Erziehungsgründen zu reden, aber halt nur an der Oberfläche und nach deutschen Spielregeln. Zu einer echten Debatte mit einem Intellektuellen wie “dem italienischen Bruce Willis” ist ein miserabel vorbereiteter Fernsehbeamte wie Jauch kaum in der Lage.
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